September 2024

»Fusionitis« 

Immer öfter liest man im kirchlichen Amtsblatt: »Zusammenschluss zweier ev.-luth. Pfarreien im Dekanatsbezirk soundso…«. Wieder ist eine größere Einheit von Pfarrei entstanden, mit oft kreativem Namen, nach Flüssen, Gegenden oder Landmarken benannt. Zusammenschlüsse haben zwei unbestreitbare Vorteile: Zum einen entsteht in beiden (Groß-)Pfarreien ein gemeinsames Pfarramtsbüro. Damit können Aufgaben gebündelt und Öffnungszeiten ausgedehnt werden. Zum zweiten arbeiten die Stelleninhaber dort aufgabenorientiert. Das ist dann sinnvoll, wenn ein Pfarrer und eine Religionspädagogin zusammenarbeiten, oder zwei Diakone. Aufgrund unterschiedlicher Profile in den Berufsgruppen können die Aufgaben so passgenau aufgeteilt werden. 

Natürlich wurde über solche Pfarreizusammenschlüsse auch in unserer Region nachgedacht. Es ist kein Geheimnis, dass die Landeskirche solche Zusammenschlüsse – sagen wir es einmal vorsichtig – gerne sieht[1]. Doch was für einen Vorteil sollte das für unsere Region haben? Ein zentrales Pfarramtsbüro für neun Kirchengemeinden gibt es bei uns schon seit 50 Jahren. Dafür braucht es keine landeskirchlichen Reformprozess. Und verschiedene Berufsgruppen auf Pfarrstellen haben wir hier auch (noch) nicht. Dienst tun in der Region vier Pfarrer, die – zumindest theoretisch – alles (tun) können. 
Trotz aller Vorteile – die es unbestreitbar gibt – sind auch offenkundige Nachteile derartiger Fusionen zu beobachten: je größer die Einheit, desto anonymer wird sie. Eine Binsenweisheit. Gerade für Kirchengemeinden und kleinere Pfarreien kann sich das als fatal erweisen. Ehrenamtliches und kirchliches Engagement funktionieren dort am besten, wo sich Menschen verantwortlich fühlen: für ihre Kirche, für ihr Gemeindehaus, für ihr Dorf. Kurz: für einen überschaubaren Bereich, der als Heimat empfunden wird, und wo man das Gefühl hat, etwas bewegen zu können. Jede Statistik belegt: je kleiner eine Kirchengemeinde, desto höher liegen das Pro-Kopf-Spendenaufkommen, der prozentuale Kirchenbesuch, die Wahlbeteiligung bei Kirchenvorstandswahlen sowie die Anzahl derer, die mit »anpacken«, wenn es etwas zu tun gibt. In immer größer werdenden Gemeindezusammenschlüssen geht die Verbindung zwischen den Menschen verloren. Dort wo Gemeinden klein und intim sind, dort wo noch Nähe und enge Nachbarschaft besteht, dort floriert kirchliches Leben.

Werfen wir einen Blick auf einen »Feldversuch«: In Zürich haben sich die Kirchengemeinden Anfang 2019 zu einer großen Gesamtkirchengemeinde zusammengeschlossen. Nach drei Jahren merkten die Verantwortlichen, dass sie bei den gemeinsamen Gottesdiensten die Hälfte der Besucher und einen großen Teil ihrer Ehrenamtlichen verloren hatten. Die Fusion ist grandios gescheitert. Nun haben sich die Kirchengemeinden wieder getrennt, und ein Pfarrer aus Zürich sagt dazu: »Wir sind klüger geworden in den vergangenen Jahren«.

Fusionen, größere Einheiten, Stabsstellen, Sonderstellen usw. Ist das wirklich der Schlüssel für das, was uns als Kirche weiterbringt? Oder die aktuell schwierige Situation verbessert? Ich habe keine Lust mehr, und vielen Kirchenvorständen geht es ähnlich, ständig über Kürzungen und Strukturreformen zu sinnieren oder die hundertste Veranstaltung zu »Kirche von morgen« zu besuchen. Parallel dazu verlieren Kirchengemeinden und kleine Pfarreien bei zunehmender Zentralisation (was als Regionalisierung verkauft wird) an Gestaltungsmöglichkeiten. Kirchenleitende Organe dagegen werden – wie der Staat es uns vormacht – über die Maßen aufgebläht[2]. Nach den Mustern von Verwaltung im »top-down«-Prinzip. Niemand darf sich wundern, wenn sich »Kirche« dabei immer mehr gerade von ihren treuen Mitgliedern entfernt.

Dr. Frank Zimmer, Thalmässing
(Gemeindebrief Thalmässing Nr.211, Ausgabe Nov-Dez 2023)

 

[1]  Kirchengemeinden, die einem Zusammenschluss zustimmen, bekommen als besonderes »Leckerli« fünf Finanzierungspunkte mehr, also etwa 800 € pro Jahr. Das gleiche gilt für die Zusammenlegung von Kirchenvorständen.

[2]  Pfarrstellen im Gemeindedienst werden immer mehr gekürzt (2020 um 10%; 2025 um voraussichtlich 25%) während die landeskirchliche Gesamtleitungskapazität, Stand heute, in weit geringerem Maße zurückgefahren wird. 

­


Werden Sie Mitglied in unserem Gemeindebund. 
Entweder als Kirchengemeinde oder als Einzelperson.

Es sind bereits 119 Kirchengemeinden Mitglieder.
Es kostet der Gemeinde keinen Beitrag!
Informieren Sie sich unter www.gemeindebund-bayern.de 
oder laden sie uns ein.